RIDER's Journal #3 : Silk Road Mountain Race
17. August 2019: Es war kalt. Und dunkel. Es schneite und der Schnee durchnässte meine Kleidung. Ich stand auf dem Kegety Pass, dem ersten Pass des Silk Road Mountain Race. Gerade hatte ich fast 3.000 Höhenmeter an einem einzigen, gerölligen Berg zurückgelegt. Eigentlich wollte ich vor der Dunkelheit die Passspitze erreicht haben. Doch dazu war ich einfach zu langsam. Nun lag ein kilometerlanger Abstieg vor mir. Ans Fahren war gar nicht zu denken. Stein um Stein, oder besser gesagt Felsen um Felsen hievte ich mein Rad den Weg entlang, wobei das Wort hier einer neuen Definition unterliegen müsste.
Wenig später hielt ich für eine kurze Pinkelpause. Meine Finger waren gefroren. Ich hatte keinerlei Gefühl mehr und konnte den Reißverschluss meiner Jacke nicht mehr zuziehen. Nach einigen vergeblichen Versuchen gab ich auf und fuhr mit offenem Oberteil in das nächste Tal hinab. Bei minus 8 Grad. Und “Tal” bedeutet an dieser Stelle immer noch eine Höhe von über 2.000 m.
Um 2 Uhr schlug ich mein Zelt auf. Mir war übel und ich übergab mich. Nachdem ich am nächsten Morgen mein Zelt zusammengepackt hatte, konnte ich den Reißverschluss schon wieder nicht schließen. Ich hatte einfach keine Kraft in den (gefrorenen) Händen. Glücklicherweise kam zufällig ein kirgisischer Nomade auf dem Pferd angeritten und bot seine Hilfe an. What a start!
ÜBER Raphael
Hi, ich bin Raphael Albrecht (@cyclingrapha), 30 Jahre und wohne in Berlin. Nach dem Studium bin ich in der Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung tätig gewesen, bis ich vor ein paar Jahren meinen Job gekündigt habe, um mich auf das Radfahren zu konzentrieren.
Heute bin ich selbst regelmäßig bei Ultra-Rennen und Events am Start und seit 2020 Organisator von Orbit360, wo wir aktuell die zweite Gravel Serie laufen haben. Wenn Ihr mehr über meinen Weg dort hin erfahren wollt, dann schaut auf meiner Website vorbei.
Das Silk Road Mountain Race (SRMR) bin ich 2019 in der zweiten Ausgabe gefahren. Zuvor hatte ich auf einer Radtour durch Georgien, Armenien und den Iran das Event zufällig auf Instagram entdeckt und mich sofort angemeldet ohne jemals länger als 100 km am Stück gefahren zu sein. Andere Events kannte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht und war fasziniert, dass solch weite Distanzen in so einsamen Gegenden überhaupt möglich waren.
Ein Kreuzbandriss bei einem Unfall im Iran hatte die Euphorie dann zunächst etwas gedämpft. Aber schon im April 2019 saß ich wieder im Sattel und zwar bei meinem ersten Ultra-Rennen – dem Italy Divide. Ich scheiterte kläglich. Gleiches Spiel darauf bei der Bikepacking Trans Germany (BTG). Das SRMR startete nur drei Wochen später und war dann tatsächlich mein erstes Ultra-Rennen, das ich gefinished habe.
DER TRACK
Das Silk Road Mountain Race ist mehr ein Überlebenskampf als ein Radrennen. Temperaturen von minus 15 bis plus 40 Grad Celsius, einsame Weiten und steinige Bergpässe stellen die Fahrer:innen vor viele Herausforderungen. Die 1.745 km lange Strecke verläuft zu einem großen Teil durch das Tian Shan Gebirge und wird jedes Jahr von Nelson Trees neu gescoutet.
Der Track ist Himmel und Hölle zugleich. Ich erinnere mich an einen Moment: Halbnackt schob ich mein 30 kg schweres Rad einen Anstieg hinauf. 30 Minuten später sah ich auf den wunderschönen Song Kul See herunter. Dabei zogen graue Wolken auf. Es dauerte keine zwei Minuten und ein Gemisch aus Schnee und Hagel prasselte auf mich ein. Neben mir fuhr das Medien-Auto mit Stefano (Broom Wagon Podcast) und dem Kamera-Team vorbei. Geschützt durch die Fenster-Scheiben beobachteten sie, wie ich alles an Kleidung über mich streifte, dass ich dabei hatte.
DIE VORBEREITUNG
Ich flog relativ unerfahren nach Kirgistan. Den Radsport hatte ich gerade mal ein Jahr zuvor für mich entdeckt und mehrtägige Bikepacking-Rennen hatten mich sofort in den Bann gezogen. Ich las so ziemlich jeden Bikepacking-Blog, wühlte mich durch viele Reviews zu den neuesten Fahrradteilen und trainierte was das Zeug hielt. Und um in den schier endlosen Möglichkeiten an Bike Setups nicht zu versinken, erstellte ich eine Equipment-Liste.
Da ich mit meinem grundsoliden, aber doch recht schweren, Cube Cross SL nicht durch 1.700 km kirgisische Einsamkeit fahren wollte, legte ich mir im April 2019 ein Bombtrack Hook EXT-C zu. Das war eine sehr gute Entscheidung. Aufgetuned wurde das Rad mit redshift-Komponenten (Sattelstütze und Vorbau), Profile Design Aerobars, einem Brooks Sattel und einen Son28-Dynamo, welcher an eine Sinewave Beacon Lampe gekoppelt war.
Die Route wurde über die Navigationsapp komoot bereitgestellt. Mithilfe der verschiedenen Topografie-Ansichten teilte ich die Route in Tagesetappen auf und in einer Excel-Tabelle schrieb ich mir mögliche Re-Supply-Optionen auf. Diese hatte ich vorab mit Hilfe des Race Manuals und Google Maps recherchiert.
DAS RENNEN
Finish mit hindernissen
Pünktlich zum Start zogen graue Wolken über Bishkek auf, die sich später in einen großen Sturm verwandelten: Regen, Hagel, Schnee – alles war dabei. Und mit dem Kegety-Pass mussten wir – wie die Fahrer:innen im Jahr zuvor – direkt einen der schwersten Brocken im ganzen Rennen überwinden. Im Vorjahr waren nur 4 Personen am ersten Tag über den Pass gekommen.
Ich war in der Vorwoche probeweise den Kegety-Pass abgefahren und wusste also schon, was mich erwartete. Irgendwie im Hellen noch runter kommen war das Ziel, denn die Rückseite bestand aus grobem Gestein. Nun, pünktlich um 22 Uhr, gerade als es total dunkel geworden war, stand ich auf dem Gipfel – schönes Ding!
Bei minus 8 Grad musste ich auf Toilette und konnte im Nachgang aufgrund meiner gefrorenen Finger den Reißverschluss meines Jerseys nicht mehr schließen. Oben bleiben ging aber auch nicht; zu kalt. Also fuhr ich die letzten 15 km bei minus 8 Grad im offenen Jersey (ohne Handschuh, denn die Finger waren zu gefroren um sie wieder anzuziehen) in das nächste Tal ab.
Und am nächsten Morgen das gleiche Spiel nochmal. Zum Glück kam ein auf dem Pferd reitender Kirgise zu Hilfe und schloss den Reißverschluss für mich.
In den frühen Morgenstunden am dritten Tag spürte ich ein leichtes Ziehen in der Achillessehne. Fünf Stunden später zog ich meinen Schuh aus und erblickte ein langes, geschwollenes blaues „Ding“ an der Hinterseite meines Fußes. „Das sieht eher aus wie eine Wurst“ sagte ich zu Bengt (Stiller), der gerade neben mir auf einer Wiese einen Powernap einlegte. Aber es war meine Achillessehne.
Nun, Bengt fuhr weiter und ich musste mein Camp aufschlagen und hoffen, dass es mit viel Warterei und ein paar Schmerztabletten besser werden würde. Nach einem Tag Warten hatte ich das Rennen eigentlich schon abgeschrieben, da ich kaum mehr gehen konnte.
Aber ich musste sowieso noch 20 km mit dem Rad fahren, um in die nächste Stadt zu kommen. Nach 23 Stunden stieg ich wieder aufs Rad. Doch mit heruntergestelltem Sattel und viel Tape um meinen Knöchel konnte ich doch irgendwie fahren. Nicht schnell, aber es ging.
So liefen dann auch die restlichen 9 Tage ab. Immer mit ein bisschen Angst im Hinterkopf, dass die Achillessehne wieder schlimmer werden konnte, bin ich ruhiger gefahren, dafür aber länger. Nach 12 Tagen, 6 Stunden und 45 Minuten beendete ich mein erstes Ultra-Rennen. Und dann gleich das SRMR. Was für ein Brocken!
Verpflegung & Übernachtung
Ich hatte viel über die spärliche Essensversorgung in den kirgisischen Bergen gelesen und trug daher von Beginn an ca. 30.000 kcal mit mir herum – und das war auch dringend notwendig! Denn mit einem durchschnittlichen Kalorienverbrauch von 8.000 kcal – 10.000 kcal habe ich über das gesamte Rennen zwischen 100.000 kcal und 120.000 kcal verbrannt.
Beim SRMR gibt es Teilabschnitte, auf denen die Fahrer für bis zu 200 km auf sich alleine gestellt sind. Und diese 200 km bestehen in der Regel aus ordentlich Höhenmetern mit viel Geröll zwischendrin. Außerdem hat mir der Vorrat an Essen Sicherheit gegeben. Ich hielt mich an meinen „Essensplan“ und konnte somit immer ziemlich gut bis zum nächsten Re-Supply planen.
Während ich abends das Zelt aufbaute, kochte ich die Expeditionsnahrung von Firepot. Denn egal, wie lang und anstrengend ein Tag war – eine warme Mahlzeit am Abend hat die bevorstehende Distanz nur noch halb so lang erscheinen lassen. Wenn möglich aß ich auch lokales Essen – Reis mit Karottenstückchen, “Plov” hatten sie es genannt. Das war kein Sterne-Essen, hat aber zumindest viel Energie gegeben. Ansonsten findet man auch viel Eis in Kirgistan.
Mit einem Wasserfilter im Gepäck war die Trinkwasserversorgung kein großes Problem. Bis auf den besagten 200 km langen Abschnitt an der chinesischen Grenze entlang gibt es reichlich Flüsse um Wasser aufzufüllen.
Die Nächte verbrachte ich in meinem super kleinen 1-Personen-Zelt. Ausgestattet mit einem Sea-to-Summit Spark IV Schlafsack war ich bestens für Temperaturen von bis zu minus 15 Grad gerüstet. Auch die ultraleichte Iso-Matte von Sea-to-Summit brachte viel Komfort mit sich.
Hin und wieder gab es die Möglichkeit, in Homestays zu übernachten, was ich (dreimal) dankend annahm. Denn es gibt nichts Besseres als ein warmes Abendbrot und ein Bett – und außerdem spart man noch Zeit, weil man nicht mit erfrorenen Fingern ein Zelt auf- und abbauen muss.
DIE LEARNINGS
Das SRMR als allererstes Rennen überhaupt zu finishen war schon ein tolles Gefühl. Und gerade nach dem zwischenzeitlichen „Aus“ am dritten Tag fühlte sich das Finish nochmal besser an.
Und es zeigt ein weiteres Mal: Alles ist möglich! Ich fuhr gerade mal seit einem Jahr Rad (und war davon aufgrund eines Kreuzbandrisses 6 Monate außer Gefecht gesetzt) und konnte den vielen Herausforderungen trotzdem standhalten. Denn beim SRMR geht es mehr darum, den Körper funktionsfähig zu halten, als viele Watt zu treten.
Und eine gute Planung ist die halbe Miete. Gefühlt kannte ich jede Stadt, die wir durchfuhren, jeden Berg den wir kletterten und jede Re-Supply-Option schon vor Rennstart. Das hat mir extrem viel Sicherheit gegeben und mich munter weiter fahren lassen, auch wenn es mal nicht so lief.
Silk Road Mountain Race
Fotos: Rugile Kaladyte, Raphael Albrecht
Text: Raphael Albrecht